Katastrophenschutz in Berlin

Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt:

Vorbemerkung: Am 11. März 2022 teilte das Bundesministerium des Innern und für Heimat dem Deutschen Bundestag - Ausschuss für Inneres und Heimat –mit, dass es “eine umfassende Prüfung der Zivilschutzfähigkeiten initiiert und dabei auch eine Konzeption zur Stärkung des Zivilschutzes aufgrund der aktuellen Entwicklungen durch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in Auftrag gegeben hat. Dabei werden insbesondere die Bereiche Warnung, CBRN-Schutz, Versorgung, Betreuung, Schutzräume und Selbstschutz der Bevölkerung in den Blick genommen.“

1. Welche Vorkehrungen gibt es, um die Berliner Zivilbevölkerung vor Katastrophenlagen (z.B. Unwetter, ABC-Angriffe) zu warnen?

Zu 1.: Berlin nutzt für die großflächige Information und Warnung der Berliner Bevölkerung vorrangig das bundesweite Modulare Warnsystem bzw. die daran angebundenen Warnmittel wie die WarnApps NINA und KATWARN sowie diverse Medien einschließlich Webportale, Rundfunksender und Presseagenturen (siehe auch https://www.bbk.bund.de/DE/WarnungVorsorge/Warnung-in-Deutschland/Warnmittel/MoWaS/mowas_node.html). Unwetterwarnungen werden bundesweit vom Deutschen Wetterdienst auf verschiedenen Kanälen verbreitet, u.a. ebenfalls über die WarnApp NINA, die eigene „WarnWetter“-App sowie und den Rundfunk. „ABC-Angriffe“ betreffen den Zivilschutz und liegen in der Zuständigkeit des Bundes, der sich bzgl. der Warnung ebenfalls des Modularen Warnsystems bedient: Im Namen des Bundes nimmt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) den gesetzlichen Auftrag zur Warnung im Zivilschutzfall wahr. (vgl. https://www.bbk.bund.de/DE/WarnungVorsorge/Warnung-in-Deutschland/Organisation-derWarnung/Bund/bund_node.html)

2. Gibt es Planungen zusätzlich zu Apps wie Nina und Katwarn auch Cell-Broadcasting zu implementieren bzw. wieder analoge Sirenen zu installieren?
3. Welche weiteren Vorkehrungen plant der Senat, um die Bevölkerung in Katastrophenlagen zu informieren?

Zu 2. und 3.: Im August 2021 haben sich der Bund und die Länder darauf verständigt, die Warninfrastruktur auszubauen. Dazu gehört neben der Einführung von Cell-Broadcast auch ein Sirenenförderprogramm des Bundes. Der Bund beabsichtigt, Cell-Broadcast in Zusammenarbeit mit den Mobilfunkbetreibern schnellstmöglich in die bundesweite Warninfrastruktur zu integrieren. Die Bundesnetzagentur (BNetzA) hat eine entsprechende Technische Richtlinie zur Umsetzung erlassen, die am 24. Februar 2022 in Kraft getreten ist. Die Mobilfunknetzbetreiber müssen die Cell-Broadcast-Technologie nunmehr innerhalb eines Jahres in ihren Netzen einbauen. Im Land Berlin sollen nach aktueller Planung mit rund 4,5 Mio. € aus dem Sirenenförderprogramm bis zu 400 Anlagen im Stadtgebiet errichtet werden. Für deren Ansteuerung über das Modulare Warnsystem entwickelt der Bund die erforderliche Schnittstelle zum Digitalfunk. Berlin wirkt außerdem im Rahmen des Fonds für die Innere Sicherheit (ISF) an einem Bund-Länder-Projekt „Warnung der Bevölkerung“ mit, das unter Federführung des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe verschiedene Vorhaben zur Verbesserung der Bevölkerungswarnung umsetzt (https://warnung-der-bevoelkerung.de/projekt/).

4. Welche Kampagnen plant der Senat, um die Bevölkerung für die verschiedenen Maßnahmen der Katastrophenwarnung zu sensibilisieren?

Zu 4.: Die Senatsverwaltung für Inneres, Digitales und Sport sowie die Berliner Feuerwehr bewerben im Internet die Nutzung der WarnApps. Ausführlichere Informationen wurden/werden anlassbezogen von Bund und Ländern in Form von „Flyern“ sowie digital verbreitet. Das BBK betreibt einen YouTube-Kanal, u.a. zum Thema Warnung: https://www.youtube.com/playlist?list=PLKLfpgCj_g6WGxq0wG3I4m7oI2vGyv TG4. Zudem ist vorgesehen, dass die Berliner Bevölkerung rechtzeitig vor dem aktiven Einsatz von Sirenen im Stadtgebiet über dieses neue Warnmittel informiert wird.

5. Welche Vorkehrungen gibt es, um die Berliner Bevölkerung bei ABC-Angriffen zu schützen? 

Zu 5.: Zivilschutz als Unterthema der zivilen Verteidigung in Deutschland ist Bundesangelegenheit (Artikel 73 Grundgesetz, § 1 Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetz). Die Länder werden in Bundesauftragsverwaltung tätig. Im Verteidigungsfall greifen die Vorsorgestrukturen des Bundes im Zivilverteidigungsfall sowie der Länder aus dem Katastrophenschutz. Im Rahmenkonzept CBRN-Schutz (ABC-Schutz) im Bevölkerungsschutz werden Einsatzeinheiten bei der Feuerwehr und den Hilfsorganisationen gebildet. Durch den Rettungsdienst der Feuerwehr und in den Krankenhausalarmplänen werden ebenfalls Planungen für CBRN-Verletzte erstellt. Das BBK hat allgemeine Hinweise zum Umgang mit Gefahrstofffreisetzungen veröffentlicht: https://www.bbk.bund.de/DE/Warnung-Vorsorge/TippsNotsituationen/Gefahrstoff-Freisetzung/gefahrstoff-freisetzung_node.html

6. Gibt es in Berlin betriebsfähige Atomschutzbunker?

Zu 6.: Es gibt im Land Berlin zurzeit keine funktionsfähigen öffentlichen Schutzräume. Nach 1990 wurde das öffentliche Schutzraumkonzept als „Friedensdividende“ schrittweise eingestellt. Der Rückbau der Schutzräume begann im Jahr 2008. Die öffentlichen Schutzräume wurden entwidmet und viele Schutzräume wurden zwischenzeitlich verkauft und einer anderen Nutzung zugeführt. Im Kontext der derzeitigen Ereignisse prüft der Bund auch das aktuelle Rückbaukonzept für Schutzräume.

7. Wie lange benötigt der Senat ab Eingang einer konkreten Gefahrenmeldung, um die Berliner Bevölkerung über ggf. notwendige kurzfristige individuelle Schutzmaßnahmen zu informieren? Auf welchen Kommunikationswegen würden solche Warnungen erfolgen?
8. Wie groß ist der Anteil der Bevölkerung, der innerhalb von a) 15 Minuten b) 30 Minuten c) 1 Stunde d) 3 Stunden zuverlässig über ggf. notwendige kurzfristige individuelle Schutzmaßnahmen informiert werden kann?

Zu 7. und 8.: Der Anteil der Bevölkerung, der in einem bestimmten Zeitraum über das Modulare Warnsystem und ggf. sonstige Warnkanäle erreicht werden kann, hängt insbesondere von der Tageszeit bzw. der Empfangsmöglichkeit verschiedener Warnmittel und deren Verfügbarkeit im betroffenen Gebiet ab. Eine konkrete Zahlenangabe ist daher nicht möglich. Grundsätzlich erfolgt eine Warnung unmittelbar nachdem die zuständige Behörde um Alarmauslösung bittet. Individuelle Schutzmaßnahmen beziehen sich immer auf die Gefahrenlage vor Ort und die dortigen Schutzmöglichkeiten. Sie können regelmäßig nur durch Einsatzkräfte konkret empfohlen oder angewiesen werden. Großflächige Warnungen und Informationen können daher nicht alle individuellen Begleitumstände berücksichtigen.

9. Für welche Anzahl von infolge eines Einsatzes von biologischen oder chemischen Waffen behandlungsbedürftigen Personen sind die Berliner Krankenhäuser und andere Versorger in der Lage, die notwendige medizinische Versorgung sicherzustellen?

Zu 9.: Die Versorgungskapazität der Berliner Krankenhäuser hängt von der Schwere und dem grundsätzlichen Ausmaß der Lage und der entsprechenden Verletzungen ab, welche bei Einsatz von biologischen als auch chemischen Waffen sehr unterschiedlich sein können. Eine konkrete Zahlenangabe ist daher nicht möglich.

10. Welche Anzahl von notwendigen Versorgungsgütern für den Einsatz im Katastrophenfall wird vom Senat ständig vorgehalten? Für wie viele Personen reicht dieser Vorrat wie lange?

Zu 10.: Katastrophenfälle zeichnen sich dadurch aus, dass die vorplanbaren Gefahrenabwehrpotenziale nicht mehr in ausreichendem Maße oder in angemessener Zeit genutzt werden können. Hiervon können auch verschiedene Versorgungsgüter oder die Strukturen für deren Bereitstellung betroffen sein. In verschiedenen Bereichen und auf verschiedenen Ebenen wird eine Vorsorge für bestimmte Ausnahmesituationen getroffen, die in Anbetracht der sehr unterschiedlichen Versorgungsbedarfe gleichwohl nicht abschließend und in allen Details aufgeführt werden kann. Mit dem Beschluss der Bundesregierung vom 3. Juni 2020 soll unter der Federführung und der fachlichen Verantwortung des Gesundheitsressorts eine nationale Reserve von Bedarfsartikeln des Gesundheitssektors (NRGS) entstehen. Durch Warenbevorratung, sowie des Vorhaltens von Produktionskapazitäten soll hierbei eine Bevorratung von bis zu sechs Monaten erreicht werden. Sanitätsmaterial für den Zivilschutz wird bereits in Krankenhausapotheken eingelagert. Für weitere zu bevorratende Güter stehen vier Logistikzentren des THW zur Verfügung. Der Einsatz der NRGS ist aktuell für drei Szenarien vorgesehen: (Pandemie, Bündnisfall sowie den Ausfall von Lieferketten). Gemäß § 12 ZSKG stehen die Vorhaltungen und Einrichtungen des Bundes für den Zivilschutz den Ländern auch für Ihre Aufgaben im Bereich des Katastrophenschutzes zur Verfügung. Die für Gesundheit zuständige Senatsverwaltung hält Schutzausrüstung für chemische Gefahrenlagen in den Aufnahmekrankenhäusern sowie Schutzausrüstung für biologische Lagen vor. Gemäß dem aktuellen Koalitionsvertrag 2021 – 2025 zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN und den Freien Demokraten (FDP) ist bundesseitig eine Neuausrichtung für die zukünftige Bevorratung und Notfallreserven vorgesehen. Entsprechend der Richtlinien der Regierungspolitik 2021 – 2026 beabsichtigt der Senat, eine landesgesetzliche Grundlage für Gesundheitslagen neben dem Katastrophenschutzrecht vorzubereiten. Flankierend beabsichtigt der Senat eine vorsorgende Pandemiewirtschaft zu etablieren, um im Krisenfall vorbereitet und besser ausgerüstet zu sein. Für den Bereich der Trinkwassernotversorgung stehen im Land Berlin insgesamt 2.079 Notwasserbrunnen, 901 Bundesbrunnen für den Zivilschutz nach Wassersicherstellungsgesetz und 1.169 Landesbrunnen zur Verfügung. Von diesen sind insgesamt 1.614 Brunnen funktionstüchtig. Im Krisenfall sichern die Berliner Wasserbetriebe die Wasserversorgung je nach Szenario durch leitungsgebundene sowie mobile Trinkwassernotversorgung Auf Grundlage des Katastrophenschutzgesetzes und des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes haben Personen die Inanspruchnahme, insbesondere die Nutzung und den Verbrauch ihres Eigentums und Besitzes, durch die Katastrophenschutzbehörden oder die in ihrem Auftrag handelnden Personen zu dulden, soweit es zur Abwehr einer Katastrophe oder Großschadenslage erforderlich ist.

11. Welche Planungen verfolgt der Senat, um eine Funktionsfähigkeit von Feuerwehr, Polizei, ÖPNV, Wasser- und Stromversorgung auch in verschiedenen Katastrophenszenarien sicherzustellen?

Zu 11.: Nach § 28 Abs. 2 Satz 1 des Berliner Katastrophenschutzgesetzes haben Betreiber Kritischer Infrastrukturen - wozu auch Unternehmen der Wasser- und Stromversorgung zählen - im Rahmen der Katastrophenvorsorge sicherzustellen, dass sie ihre Aufgaben bei einem Ausfall für einen angemessenen Zeitraum fortführen können. Die Betreiber Kritischer Infrastrukturen verfügen sowohl szenarienunabhängig als auch für bestimmte Szenarien über entsprechende Planungen. Darüber hinaus gibt es auch Vorhaltungen für einen technischen Ausfall bspw. aufgrund eines Stromausfalls. Die Sicherheitsbehörden, wie auch die Betreiber Kritischer Infrastrukturen, verfügen über mobile und stationäre Netzersatzanlagen.

12. Welche Maßnahmen gibt es, um die Nahrungsmittelversorgung der Berliner Bevölkerung sicherzustellen, falls es tiefgreifende Probleme bei den Lieferketten gibt?

Zu 12.: Die Bundesrepublik Deutschland hat mit dem Gesetz über die Sicherstellung der Grundversorgung mit Lebensmitteln in einer Versorgungskrise und Maßnahmen zur Vorsorge für eine Versorgungskrise (Ernährungssicherstellungs- und -vorsorgegesetz - ESVG) für den Fall einer Krise bei der Versorgung mit Lebensmitteln die erforderlichen Instrumente geschaffen, um eine Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln auch in schwerwiegenden Krisensituationen gewährleisten zu können. Zu diesem Zweck lagert die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) in der zivilen Notfallreserve (ZNR) Reis, Hülsenfrüchte und Kondensmilch sowie in der „Bundesreserve Getreide“ Weizen, Roggen und Hafer. Der Krisenbevorratung im Lebensmittelbereich liegt nicht der Ansatz zugrunde, eine Vollversorgung der in Deutschland lebenden Bürgerinnen und Bürger über einen längeren Zeitraum sicherzustellen. Die staatlichen Notreserven im Lebensmittelbereich in Deutschland sollen dazu beitragen, kurzfristig Engpässe in der Versorgung der Bevölkerung zu überbrücken. Je nachdem, wie viele Personen die Notversorgung in Anspruch nehmen, reichen die Vorräte bis zu mehreren Wochen. Das Land Berlin verfügt über diese - auch der Bevölkerung des Landes Berlin zur Verfügung stehenden - Lebensmittel der Reserve hinaus über keine eigenen Vorräte an Lebensmitteln. Die Bevölkerung wird regelmäßig für mögliche Maßnahmen des Selbstschutzes sensibilisiert, um die erste Zeit nach Eintritt eines Katastrophenfalls zu überstehen und wird regelmäßig über die Vorräte informiert, die die Berliner Haushalte zu diesem Zweck bevorraten sollten.

Berlin, den 28. März 2022
In Vertretung Torsten Akmann Senatsverwaltung für Inneres, Digitalisierung und Sport