Konfrontative Religionsbekundungen an Berliner Schulen
Anfrage Nr. 19/10593 vom 12. Januar 2022
Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt:
1. Kennt der Senat von Berlin den Begriff „konfrontative Religionsbekundung“ und wie schätzt er ihn ein?
Zu 1.: Dem Senat sind mehrere Einzelfallberichte von Schulen und Trägern der Präventionsarbeit bekannt, die religiös aufgeladene Konflikte schildern. Vielfach ist der Aspekt der Religion einer von vielen Einflussfaktoren, daher kann der Begriff „konfrontative Religionsbekundung“ den Blick auf eine einzelne mögliche Ursache von Konflikten verengen und unterkomplexe Lösungen suggerieren.
2. Hat der Senat von Berlin Erhebungen zu konfrontativer Religionsbekundung und religiösem Mobbing an Berliner Schulen durchgeführt und wenn nein, warum nicht?
Zu 2.: Nein, da wie unter 1. ausgeführt die Begrifflichkeit nicht dazu geeignet ist, die Phänomene in ihrer Komplexität zu erfassen.
3.Welche Kenntnisse hat der Senat über konfrontative Religionsbekundungen und religiöses Mobbing an Berliner Schulen?
4. Liegen dem Senat Erkenntnisse vor, die darauf hindeuten, dass überwiegend Angehörige bestimmter Religionsgemeinschaften konfrontative Religionsbekundung ausüben?
5. Wie hat sich die Intensität dieses Phänomens über die letzten zehn Jahre verändert?
6. Welche Dimensionen von konfrontativer Religionsbekundung sind vorherrschend (z.B. Mädchen-/Frauenfeindlichkeit, Druck zur Einhaltung (vermeintlich) religiöser Regeln, Intoleranz gegenüber Homo- und Transsexuellen, Druck auf andere Auslegungen der eigenen Religion, Andersgläubige, Atheisten und Agnostiker)?
7. Welche Unterschiede sind hierbei an unterschiedlichen Schultypen festzustellen?
8. Gibt es regionale Schwerpunkte von Vorfällen konfrontativer Religionsbekundung an Berliner Schulen?
Zu 3. bis 8.: Da es sich bei dem Begriff „konfrontative Religionsausübung“ um keinen allgemein anerkannten wissenschaftlichen Begriff mit einer klaren Definition handelt, lassen sich diese Fragen nicht beantworten. Die einzelnen Meldungen religiös aufgeladener Konflikte ergeben keine hinreichende Datengrundlage, um die hier abgefragten Kategorien seriös zu quantifizieren.
9. Welche Maßnahmen unternimmt der Senat von Berlin, um konfrontative Religionsbekundungen und religiöses Mobbing an Berliner Schulen zu unterbinden, und wie werden Religionsgemeinschaften und religiöse Vertreter hierbei eingebunden?
Zu 9.: Mit dem seit Schuljahr 2017/2018 unterrichtswirksamen Rahmenplan 1-10 Berlin/Brandenburg ist die Umsetzung von schulgesetzlich geregelten Querschnittsaufgaben an Schulen (wie die übergreifenden Themen Demokratiebildung, Bildung zur Akzeptanz von Vielfalt, Interkulturelle Bildung und Gleichstellung) inhaltlich untersetzt, einschließlich der Vorgaben zur Kompetenzentwicklung der Schülerinnen und Schüler in diesen Bereichen. Die dazugehörigen Orientierungs- und Handlungsrahmen sowie Handreichungen zeigen Schulen Wege auf, um tolerante Formen der Religionsausübung mit den Schülerinnen und Schülern zu thematisieren. Mit der aktuellen Inkraftsetzung des neuen Rahmenlehrplans für die Sekundarstufe II sind ab dem Schuljahr 2022/2023 diese übergreifenden Themen anschlussfähig an die Jahrgangsstufen 1-10 und aufwachsend gemäß der Verwaltungsvorschrift Schule Nr.16/2021 der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie für alle Jahrgangsstufen unterrichtswirksam. Die Inhalte der Fächer Sachunterricht, Gesellschaftswissenschaften 5/6, Ethik, Geschichte und Politische Bildung bzw. Philosophie und Politikwissenschaft in der Sekundarstufe II bieten zudem Lehrkräften viel Raum, um bei Bedarf entsprechende Schwerpunkte zu setzen. 3 Der Senat finanziert eine Reihe von Anlaufstellen und Präventionsprogrammen, an die sich Schulen zur Beratung und Intervention wenden können, etwa die Fachstelle für Pädagogik zwischen Islam, antimuslimischen Rassismus und Islamismus, die Praxisstelle der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus oder der Lernort 7*jung des Vereins „Gesicht Zeigen! Für ein weltoffenes Deutschland“ und zahlreiche andere Projekte, bei denen gezielt religiöse Vertreterinnen und Vertreter eine Rolle spielen („meet to respect“, „interreligious peers“,). Darüber hinaus steht die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie im Austausch mit Trägern des Religionsunterrichtes, u.a. der evangelischen Kirche Berlin und Oberlausitz, dem Erzbistum Berlin und der Islamischen Föderation. Diese können ebenfalls eine Wirkung im Rahmen der Prävention intoleranter Religionsverständnisse gemäß ihrer Rahmenlehrpläne entfalten. Dazu dienen auch die Pilotprojekte der christlichen Kirchen und der islamischen Föderation, die das interreligiöse Verständnis an Schulen fördern sollen. Lehrkräfte, die islamischen Religionsunterricht an Berliner Grundschulen anbieten, werden in einigen Schulen konsultiert und einbezogen. Viele von ihnen beraten und unterstützen Lehrerinnen und Lehrer ehrenamtlich. Sie versuchen zu vermitteln und zur Konfliktlösung beizutragen. Das Islamforum Berlin, dem auch die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie angehört, hat sich in den vergangenen Jahren mehrfach mit schulischen Problemen und Konflikten befasst. Die muslimischen Vertreterinnen und Vertreter im Islamforum haben dabei wiederholt das Angebot unterbreitet bei Konflikten bspw. zum Fastenbrechen zu vermitteln. So wurde zum Beispiel unter der Beteiligung verschiedener muslimischer Organisationen 2017 eine Handreichung mit dem Titel „Ramadan und Schule“ für den Bezirk Neukölln entwickelt und vom Bezirksamt Neukölln veröffentlicht. Seitens der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie ist einzuschätzen, dass die Kooperations- und Vermittlungsangebote der muslimischen Vertreterinnen und Vertreter von Schulen bislang noch zu selten aufgegriffen und nachgefragt wurden. Im Austausch mit den muslimischen Vertreterinnen und Vertretern wurde aber sehr deutlich, dass allen bewusst ist, dass von Schülerinnen und Schülern geäußerte religiöse Auffassungen existieren, die nicht mit ihren religiösen Interpretationen und Haltungen übereinstimmen und die Kooperationsbereitschaft an den Fragen zu arbeiten ist weiterhin vorhanden.
10. Liegen dem Senat Erkenntnisse vor, die darauf hindeuten, dass Vertreter von Religionsgemeinschaften in Berlin – beispielsweise durch das Angebot streng religiöser Wochenendschulen oder entsprechenden digitalen Inhalten – konfrontative Religionsbekundung an Schulen fördern? Falls ja, was unternimmt der Senat dagegen?
Zu 10.: Nein. 4
11. Wie beurteilt der Senat von Berlin die Projektkonzeption des Bezirksamtes Neukölln für eine „Anlauf- und Dokumentationsstelle konfrontative Religionsbekundung“?
Zu 11.: Der Senat steht zur Projektkonzeption noch im Austausch mit dem Bezirksamt Neukölln.
12. Welche Möglichkeiten sieht der Senat, diese Stelle in Aufbau und Betrieb zu unterstützen?
Zu 12.: Grundsätzlich begrüßt der Senat eine wissenschaftliche Auseinandersetzung. Deshalb beabsichtigt der Senat, unter dem Vorbehalt zur Verfügung stehender Haushaltsmittel, eine wissenschaftliche Untersuchung in Auftrag zu geben, welche die Faktoren, die zu verbaler und nonverbaler Gewalt an Schulen führen, analysieren und Handlungsempfehlungen daraus ableiten soll.
Berlin, den 4. Februar 2022 In Vertretung Alexander Slotty Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie